Mit einem guten Frühstück
Den Tag beginnen
Kaiserinnenfrühstück
Bewusst gewählt
Auf dem weiß-grauen Leinen-Tischtuch
Schlicht, aber
Die besten Zutaten
Das angeschnittene Brot, selbstgebacken
Gute Butter dazu
Vom Hof nebenan, das Stück
Dazu ein Ei, Frieda
Heißt die Henne; ich mag sie,
Goak, Goak, Goak, höre ich sie rufen
Ganz zu Anfang aber
Esse ich die Milchsatte
Aus dem dicken Steingutteller
Der hält sie warm
Für den adeligen Bauch
Seismograph der Kaiserin
Für alles und nichts
Zusammen mit den Gänseblümchen
Wird gekichert, nur einen Moment
Könnte ich nur länger
Doch in diesen Zeiten
Dunkel und schwer; schon wieder
Jetzt ein Gänseblümchen sein
Das würde mich retten – vielleicht
Sicher nur
Dieses Frühstück
© Martina Burandt / 2021
Diese Worte findet die Autorin Martina Burandt beim Betrachten des Gemäldes „Stillleben mit Milchsatte“ von Paula Modersohn-Becker aus dem Jahr 1905. Das Gedicht wurde im letzten Jahr in der Lyriklesung „Jetzt in der Freiheit, wird etwas aus mir“ im Paula Modersohn-Becker Museum vorgestellt.
Mit freier Lyrik und Kurzprosa hat sich die Autorin, zusammen mit Ursula Pickener, einigen der Hauptwerke Paula Modersohn-Beckers genähert. Die Suche nach der eigenen Empfindung und dem künstlerischen Ausdruck verbindet die Texte mit den Bildern. Unvertraute Klangfarben geben Anstöße zu einer neuen Betrachtung der Werke.
Das Stillleben zeigt eine natürliche und alltägliche Szene am Frühstückstisch: Brot, gekochtes Ei, Butter und die gefüllte Milchsatte. Es fängt die ländliche Atmosphäre, so wie sie Paula Modersohn-Becker erlebt und gefühlt haben könnte, ein und macht sie für die Betrachtenden im Stillen greifbar. In der lyrischen Darstellung des Gemäldes verleihen die beiden Autorinnen der Greifbarkeit dieses Stilllebens eine neue Dimension: Sie vertiefen die Auseinandersetzung mit der Künstlerin und ihrem Werk durch Klang und Geschichte. Einfache Objekte des Stilllebens werden durch die Sprache und Wortkunst der Autorinnen mit neuen Details und Hintergründen bereichert.
Die Milchsatte bleibt nicht nur Milchsatte, sondern verwandelt sich, wird Teil eines „Kaiserinnenfrühstücks“, „eines täglichen Festes“, oder auch eines Zeitpunkts am Morgen, um in sich selbst hineinzuhorchen. Selbst die scheinbar zufällig platzierten Gänseblümchen oder die Wahl des Tischtuches besitzen nun einen Kontext und eine konkrete Beziehung zur Künstlerin. Allein durch Worte erhält das Gemälde plötzlich eine nachvollziehbare Dreidimensionalität und Beweglichkeit.
Mit Ursula Pickeners: „Pappsatte“, wurde dem Publikum der Lyriklesung eine weitere lyrische Verarbeitung von Paula Modersohn-Beckers „Stillleben mit Milchsatte“ geboten.
Gänseblümchen zum Frühstück
Und ein kleines Ei
Brot und Butter
Dicke Milch – Milchsatte
Ein tägliches Fest
Auf kostbar besticktem Tuch
Bemalter Teller
Kein Löffel, kein Messer
Stilles Leben, angehalten im Noch-Nicht
Ein Fest für die Augen
Noch nicht zugreifen
Noch nicht schneiden
Noch nicht zerteilen, beißen, kauen, schlucken
Noch nicht für dich, Paula
Dein Festmahl sind Öl und Pappe
© Ursula Pickener / 2021
Auch wenn die zwei Autorinnen das „Stillleben mit Milchsatte“ unterschiedlich interpretieren und verarbeiten, führt die Beiden ihre Art, die Künstlerin als ein wesentliches Element des Werkes und seines Ursprunges hervorzuheben, wieder zusammen. Paula Modersohn-Becker wird in beiden Neu-Interpretationen des Stilllebens bewusst in einer authentisch erscheinenden Rolle als nachdenkliche Frau und einzigartige Künstlerin, dargestellt; Erschafferin und Inhalt der Kunst.
Wer weitere Gedichte von Martina Burandt und Ursula Pickener entdecken möchte, ist herzlich eingeladen, am Donnerstag, den 26. Oktober 2023, um 18.30 Uhr an der Lyriklesung: „Das sanfte Vibrieren der Dinge“ im Paula Modersohn-Becker Museum teilzunehmen.
Die beiden Autorinnen legen ihren Fokus dieses Mal auf die Zeichnungen von Paula Modersohn-Becker.
Autorin: Lilith Draschba
Die Autorinnen Martina Burandt (Kulturladen Huchting, Meike Rohde) und Ursula Pickener; Foto: © Uwe Meier