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Paris Pantin expo James Rosenquist 2016 photo Charles Duprat 1456 300dpi Galerie von Thaddaeus Ropac in Pantin, eine ehemalige Kesselhalle.Foto: Charles Duprat

Fenster nach Paris: Die Kunstszene heute

Pablo Picasso, Douanier Rousseau, Amedeo Modigliani, Henri Matisse, Georges Braque, Guillaume Apollinaire, Jean Cocteau: Im Bateau-Lavoir auf dem Butte Montmartre trafen sich einst Maler, Literaten, Theaterleute und Galeristen. Die Künstlerresidenz war zwischen 1900 und dem Ersten Weltkrieg die bedeutendste Wirkungsstätte für Kreative aus aller Welt - und trug maßgeblich zum Mythos von Montmarte als Ort der Pariser Avantgarde zu Beginn des 20. Jahrhunderts bei. 

Die Residenz auf dem Hügel im Norden von Paris im 18. Arrondissement gibt es noch immer. Nach einem Brand wurde die Holz- und Ziegelkonstruktion 1970 weitgehend zerstört; 1978 wurde sie wieder aufgebaut. Nur die hintere Fassade erinnert noch an das ursprüngliche Gebäude.  

Das einst legendäre Bateau Lavoir zählt derzeit 25 Ateliers und gehört zu den zahlreichen Künstlerresidenzen, die in den vergangenen Jahren in Paris aus dem Boden gesprossen sind. Mit seiner reichen Geschichte bleibt es jedoch einzig. Kees van Dongen lebte und arbeitete dort nur anderthalb Jahre, doch war der Aufenthalt entscheidend für seine Hinwendung zum Fauvismus. Und Picasso enthüllte in der Residenz 1907 sein den Kubismus einleitendes Hauptwerk «Les Demoiselles d'Avignon». Im selben Jahr starb Paula Modersohn-Becker im Alter von 31 Jahren. 

Bateau Lavoir - einige der Ateliers heute, Foto: Sabine Glaubitz

Heute ist die Szene für zeitgenössische Kunst weiträumig verteilt. Mit über 1000 Galerien, Museen und Kunstzentren erstreckt sie sich bis ins Ballungszentrum der Stadt, dem «Grand Paris». Ein seit Jahren verfolgtes Konzept, mit dem das relativ kleine Paris mit seinen 20. Arrondissements mit dem Großraum enger verbunden werden soll.

Im Zentrum von Paris besetzt die Kunst die Stadt von Ost nach West, von Nord nach Süd. Angesehene Galerien und Museen mit ihren Stars von Morgen haben ihr Hauptquartier im Marais am rechten Ufer der Seine aufgeschlagen. Es gilt als eine der trendigsten Gegenden von Paris. Bekannt ist das Marais auch wegen des jüdischen Viertels der Stadt und des 1977 eröffneten Centre Pompidou. Das Kultur- und Kunstzentrum mit seinen bunten Außenröhren wurde errichtet, um den von New York bedrohten Status von Paris als internationale Drehscheibe für zeitgenössische Kunst zu bewahren. Mit dem Centre Pompidou kamen hippe Stores, Bars – und Kunsträume.  

Zu den innovativsten Einrichtungen im Marais gehört seit März 2018 «Lafayette Anticipations», ein Ausstellungsturm aus Glas und verschiebbaren Decken. Das Luxuskaufhaus Galeries Lafayette hat mit der Stiftung einen ungewöhnlichen Ort geschaffen. Nicht nur mit Blick auf die Architektur des international bekannten Baumeisters Rem Koolhaas: Der Ort will ein Laboratorium für Künstler sein, die ihre Werke in den dortigen Ateliers erschaffen.

Aussenansicht der Lafayette Anticipations copyright - DSL Studio

Die Galerie Daniel Templon hat bereits seit 1972 ihre Adresse im Marais. Doch der französische Kunsthändler mischt die zeitgenössische Szene bereits seit 1966 auf. Er war einer der ersten, die Christian Boltanski, Donald Judd und Dan Flavin ausstellten. Der international aufgestellte Händler Emmanuel Perrotin ist mit seinen Talenten und Stars seit 2005 präsent. Als einer der ersten förderte er in Frankreich einige der originellsten zeitgenössischen Künstler der plastischen Avantgarde wie Maurizio Cattelan und Takashi Murakami.

Seit Oktober 2019 holt der Deutschamerikaner David Zwirner mit Galerien in New York und London die Größten der Kunstwelt ins Marais. Die Liste der Spitzenkünstler, die er vertritt, ist lang. Unter ihnen: Yayoi Kusama, Felix Gonzales-Torres oder Oscar Murillo. Ein Flaggschiff der Branche hat das Viertel mit dem Österreicher Thaddaeus Ropac gewonnen. Seit 1990 präsentiert der 61-Jährige mit Zweigstellen in Salzburg und London im Marais Georg Baselitz, Gerhard Richter und Anselm Kiefer. 

Vom «Rive droite» geht es auf die linke Seite der Seine, die als «Rive gauche» Symbol für das geistige Leben ist. Ins Viertel Saint-Germain-des-Prés hat es unter anderem die Galerie Georges-Philippe & Nathalie Vallois verschlagen, Spezialisten der kalifornischen Kunstszene. In ihrem Programm sind neben Richard Jackson, Paul Kos auch der nicht unumstrittenen Paul McCarthy vertreten. Eine weitere Persönlichkeit auf dem «Rive gauche» ist Kamel Mennour, der zu den einflussreichsten Händlern der französischen Kunstszene zählt.

Aussenansicht Galerie David Zwirner in Paris ©creditsDavidZwirner2019

Noch heute bezeichnet man Saint-Germain-des-Prés als Intellektuellenviertel von Paris, obwohl es keine Künstler und Literaten mehr anzieht. In den berühmten Cafés, allen voran dem Café de Flore, gingen einst Schriftsteller wie Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre ein und aus, und Künstler wie Alberto Giacometti, Ossip Zadkine und Pablo Picasso zählten zu ihren Stammgästen. 

In den 2000er Jahren wurde die Galerien- und Museumslandschaft neugestaltet. Kunst- und Kulturschaffende haben Belleville und die Gegend bis zur Porte de Bagnolet entdeckt, der Grenze zu den Vororten im Nordosten von Paris. So hat in Pantin Thaddaeus Ropac 2012 eine zweite Galerie eröffnet, um die Monumentalwerke seiner Künstler zu präsentieren. Dafür ließ er eine ehemalige Kesselfabrik aus dem frühen 20. Jahrhundert mit mehreren angrenzenden Gebäuden in ein rund 4 700 Quadratmeter großes Ausstellungsensemble verwandeln. 

Im selben Jahr zog auch Branchengigant Larry Gagosion mit einer zweiten Galerie in den Ballungsraum von Paris. Jedoch in den Norden der Stadt. Von dem französischen Stararchitekten Jean Nouvel ließ er sich einen Hangar des Geschäftsflughafens Le Bourget umbauen. Mit über 1600 Quadratmetern Platz genug für die raumgreifenden Werke seiner Künstler.  

  • Foto: Charles Duprat
  • Galerie von Thaddaeus Ropac in Pantin, eine ehemalige Kesselhalle.Foto: Charles Duprat

Zu Pilgerstätten zeitgenössischer Kunst gehören auch immer mehr öffentliche und private Museen und Stiftungen. So die Fondation Cartier, eine Glaskunsthalle im 14. Arrondissement. Auch hier heißt der Baumeister Jean Nouvel. Seit über 20 Jahren lockt die Stiftung mit Werkschauen von Damien Hirst, Ron Mueck und Yue Minjun die Kunstwelt an. Das dem Eiffelturm gegenüberliegende Palais de Tokyo - mit etwa 22 000 Quadratmetern das größte Zentrum für zeitgenössische Kunst Europas - gibt Einblick in die neuesten Tendenzen. 

Seit Mitte Mai hat Paris einen Kunststempel mehr. Für über 160 Millionen Euro ließ der französische Mode-Milliardär François Pinault die ehemalige Handelsbörse, La Bourse de Commerce, zwischen dem Louvre und dem Centre Pompidou aufwendig renovieren und umbauen. Mit rund 10 000 Werken besitzt der 84-Jährige eine der bedeutendsten Privatsammlungen zeitgenössischer Kunst, mit denen er das von dem japanischen Architekten Tadao Ando umgebaute Gebäude für die nächsten 50 Jahre bespielen kann. Denn so lange hat die Stadt Paris dem schwerreichen Geschäftsmann die Nutzungsrechte zugesprochen.

Das MAC/VALliegt im Süden der Hauptstadt. Es wurde 2005 in Vitry-sur-Seine eröffnet und ist das erste  Museum, das der französischen Kunstszene seit den 1950er Jahren gewidmet ist. In Romainville, im Nordosten von Paris, will seit Mitte Oktober 2019 das 11 000 Quadratmeter große Ausstellungsensemble «Komunuma» mit mehreren Galerien, Ausstellungsräumen und einem Künstlerhaus zu einem Hotspot werden. Das Esperantowort steht für Gemeinschaft oder Gemeinde.

Zeitgenössische Künstler ziehen auch zunehmend in Museen ein, die für ihre Sammlungen von Meisterwerken und Strömungen des vergangenen Jahrhunderts bekannt sind, wie das Musée d’art moderne de la ville de Paris mit Schauen von Thomas Houseago und Nina Childress, oder das Centre Pompidou mit Olafur Eliasson, Jeff Koons und Wolfgang Tillmans. Auch die von dem amerikanischen Architekten Frank Gehry errichtete Fondation Louis Vuitton im schicken 16. Arrondissement von Paris gibt sich hybride. Seit ihrer Eröffnung im Jahr 2014 stellt sie Ikonen der modernen Klassik und Zeitgenossen wie Thomas Schütte und Cindy Sherman aus.

Sogar der Louvre, in dem Paula Modersohn-Becker einst die Arbeiten des Renaissance-Malers Andrea Mantegna und des Spanier Franciso de Goya bewunderte, konfrontiert seine Schätze mit dem schöpferischen Zeitgeist unserer Tage: Plastiken des Kunst-Provokateurs Jan Fabre und tätowierte Kunststoffschweine von Wim Delvoye.  

  • Palais de Tokyo, Foto: Florent Michel
  • Palais de Tokyo, Foto: Florent Michel
  • Fondation Cartier, Foto: Sabine Glaubitz

Autorin Sabine Glaubitz lebt und arbeitet als Journalistin in Paris. Sie schreibt unter anderem für die dpa.

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