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Luigi Colani Service Zen Melitta 1973 Cerakron Luigi Colani, Service Zen, Melitta, 1973, Cerakron, Sammlung POPDOM, @ Colani Design Germany

„Hätte Colani Flügel an den Füßen gehabt, wäre er losgeflattert“

Annette Ody über Luigi Colani

Annette Ody arbeitete 1973/74 als Keramikmeisterin mit Luigi Colani zusammen und entwickelte mit ihm einige seiner erstaunlichsten Werke, wie die Teekanne „Zen“. Hier erzählt sie über die Arbeit mit Colani, das Leben auf Schloss Harkotten und wie Colanis Design heute fortlebt.

Mit Luigi Colani und dem Paula Modersohn-Becker Museum in der Böttcherstraße treffen für Annette Ody zwei Marker in ihrem Lebensweg aufeinander: In Bremen als Tochter des Bildhauers Alfred Horling und seiner Frau Anna aufgewachsen, schuf sie bereits in den 1990er-Jahren als Abschlussarbeit eine Werkserie zu einem Stillleben von Paula Modersohn-Becker. Mit der „Gluckhenne“ (https://blog.bremen-tourismus.de/gluckhenne/) ist ein Werk ihres Vaters bis heute in der Böttcherstraße präsent. Auf der anderen Seite Luigi Colani (1928–2019): enfant terrible des deutschen Designs, der mit radikalen Entwürfen und markanten Sprüchen in Erinnerung geblieben ist. Annette Ody lernte Colani Anfang der 1970er-Jahre kennen. Sie stand kurz vor dem Abschluss ihrer Ausbildung zur Keramikmeisterin in Landshut, als sie in einer Zeitschrift einen Artikel über Colani gelesen habe. „Ich war sofort fasziniert“, erinnert sie sich heute. Colanis Designphilosophie knüpfte direkt an ihr Formverständnis an. „Bei einer Schüssel etwa sah ich sofort die Aufforderung ‚Leg etwas in mich hinein‘. Dieser Ansatz war verwandt mit Colanis Formverständnis.“ Ody fand die Adresse Colanis heraus und schrieb ihm einen Brief. Was folgte, hätte sie selbst nicht vermutet: „Einige Tage später brachte die Schulsekretärin in einer Unterrichtsstunde ein Telegramm von Colani mit vier Worten: ‚Sofort kommen. Gruß Colani‘.“ Und Ody fuhr auf das Schloss Harkotten. Dort hatte Colani zahlreiche junge Gestalter*innen um sich versammelt, mit denen er gemeinsam seine Entwürfe ausfeilte und in Prototypen umsetzte. Ody blieb drei Wochen, ehe sie nach Landshut zurückkehrte, um ihren Abschluss zu machen … und die Koffer zu packen und auf das Schloss zu ziehen. Von da an arbeiteten sie zusammen, vor allem an Trinkgefäßen und Kannen. Wie hat sie Colani erlebt? Inspirierend und erschöpfend, begeisternd und unberechenbar, schwierig und leichtfüßig – man muss Colani gekannt haben, um ihn zu verstehen.

Luigi Colani, Der Künstler vor einem seiner Autos, 1976, Fotografie, Sammlung POPDOM

Für Ody zählt die Teekanne „Zen“ (Abb.) heute zu den Meisterstücken ihrer Zusammenarbeit mit Colani. Der Henkel der Teekanne „Zen“ ist den japanischen „Torii“ nachempfunden, die in Japan zu den Elementen der traditionellen Architektur gezählt werden: „Colani wollte, dass aus beiden oberen Enden des Torii, der auf den abgeflacht runden Kannenkörper montiert ist, der Tee ausgeschenkt werden kann, sobald die Kanne mit dem Torii nach links oder rechts über die Teeschale geneigt wird. Die praktisch ‚physikalische‘ Fragestellung bei dieser Formgebung war: Wie schaffen wir es, dass der Gießstrom des Teegetränks zuerst durch den Henkel fließt und nicht aus der wesentlich tieferliegenden Einfüllöffnung des Kannenkörpers hinaus schwappt? Eine physikalische Unmöglichkeit. Wir probierten Gummideckel aus, andere Einfüllöffnungen – nichts war zufriedenstellend. Schließlich haben wir einen Kragen um die Einfüllöffnung unterhalb des Torii auf dem Kannenkörper entwickelt, der den Flüssigkeitsspiegel beim Kippen und Neigen der Kanne zurückhält, während die schmalen Öffnungen oben an beiden Seiten des Torii einen schön formulierten Gießfluss möglich werden ließen. Es war eine intensive Zusammenarbeit. Unter dem Motto ‚form follows function‘ diskutierten wir fast wie am Bauhaus. Dabei habe ich viel gelernt, etwa Dinge nicht hinzunehmen, sondern zu probieren.“ Sie erinnert sich, für ihre Arbeit viele Freiheiten gehabt zu haben und Zugriff auf Rohstoffe und Maschinen. Sie habe sich auf dem Schloss eine eigene Keramikwerkstatt eingerichtet.

Vorbild und Umsetzung: Ein Torii und die Teekanne Zen

  • Luigi Colani, Service Zen, Melitta, 1973, Cerakron, Sammlung POPDOM, @ Colani Design Germany

Die Zusammenarbeit mit Colani war jedoch nicht unbelastet: „Er strebte nach Menge und Grenzenlosigkeit“, sagt Ody. Jeden Tag habe er neue Entwürfe und Ideen vorgelegt. „Colani hat es geschafft, ganze Welten vor dem inneren Auge zu erschaffen“, dann hieß es: „Mach mir mal dies, mach mir mal das.“ Viele Objekte blieben im Entwurfsstadium, Ody arbeitete häufig nachts, um Stücke fertigzustellen. Nach einem dreiviertel Jahr verließ sie Harkotten und ging ihren eigenen Weg, erst mit einer Töpferei in Witten, später als Fachschuldirektorin der Keramikschule Landshut. Dort hat sie gemeinsam mit Schüler*innen ebenfalls einen Atelierort individueller künstlerischer Entwicklungsmöglichkeiten geschaffen.

Wie sieht Ody Colani und seine Designs heute? „Die Zeit war damals nicht reif für einen Colani“, sagt sie. Viele Unternehmen und die Gesellschaft brauchen heute noch Zeit, um sein Formgespür zu verstehen. Auch Colanis Persönlichkeit spielte eine Rolle für seine Wahrnehmung, er sei wie „ein saftig blühender Wald, mit Vogelgezwitscher, voller außergewöhnlicher Früchte gewesen, in dem sich aber auch mal ein Krokodil im Tümpel“ gefunden habe. Sei ein Publikum da gewesen, schon ein Zuhörer habe genügt, führte er „kleine Bühnenstücke“ auf, platzierte „intelligente Beleidigungen und Provokationen“. Dass der Großteil der Gesellschaft ihn belächelt habe, daran sei er verzweifelt: „Damit konnte er nicht umgehen.“ Heute sieht Ody vieles, was sie an Colani erinnert, Modelle für Sportschuhe etwa, die Colani so ähnlich schon in den 1970er-Jahren entworfen habe: „Damals wurden sie nicht ernstgenommen, heute machen alle Colanis.“

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Text und Interview: Lara Merten, Bundesfreiwillige 2021/22

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