Frauenporträts aus fast 500 Jahren treffen im zweiten Saal der Ausstellung „Tausche Cranach gegen Monet. Meisterwerke aus den Sammlungen Rau und Roselius“ aufeinander. Ein Highlight unter ihnen ist das Bildnis der Katharina von Bora von Lucas Cranach d. Ä. aus der Sammlung von Ludwig Roselius, das sich üblicherweise im Roselius Museum neben seinem Pendant, dem Bildnis Martin Luthers, befindet. Das Bildnis der Katharina von Bora erzählt jedoch auch eine eigene Geschichte, wie ein genauer Blick auf das Werk zeigt.
Als Halbfigur mit kostbarem Pelz und vornehmer Kleidung präsentierte Cranach Katharina von Bora (1499–1552) ganz im Stil einer Frau mit gehobenem Status. Die sorgfältige Modellierung ihres Gesichts und feine Malweise unterstreichen ihre Präsenz und Anmut. Wenig deutet in dem Bild darauf hin, dass Katharina von Bora und die Ehe zwischen ihr und Luther in Teilen der Öffentlichkeit als kontrovers bis skandalös wahrgenommen wurden. Bereits mit 16 Jahren hatte Katharina von Bora ihr Gelübde als Nonne abgelegt. Nachdem sie 1523 mit weiteren Nonnen das Kloster verlassen hatte, kam sie nach Wittenberg, wo Luther sie zunächst in der Familie von Lucas Cranach unterbrachte. Am 27. Juni 1525 heirateten Luther und von Bora und lebten im ehemaligen Augustinerkloster in Wittenberg, wo Katharina von Bora Ländereien, Finanzen und eine Bierbrauerei verwaltete.
22 Bildnisse Katharina von Boras als Teil der Ehepaarbildnisse mit Luther sind von Lucas Cranach d. Ä. heute noch erhalten. Weitere stammen aus seiner Werkstatt oder von seinem Sohn Lucas Cranach d. J. Diese Fülle verdeutlicht das große öffentliche Interesse an den „Luthers“. Cranach hatte Luther seit den frühen 1520er-Jahren immer wieder porträtiert. Die Bilder wurden als Grafiken weiterverbreitet und bestimmen bis heute das Bild des Reformators: Wir sehen Luther gewissermaßen mit den Augen Cranachs. Nach Luthers Hochzeit mit Katharina von Bora schuf Cranach eine Reihe von Ehepaarbildnissen: zwei gleich große Tafeln, auf denen die Eheleute durch ihre Haltung und Erscheinung aufeinander bezogen sind.
Dabei lassen sich Unterschiede zwischen den frühen Darstellungen um 1525 sowie den späteren wie dem Bremer Bild beobachten: Wurde Katharina von Bora in den frühen Bildnissen meist im Dreiviertelporträt wiedergegeben, um ihre Hand mit dem Ehering zu zeigen, so erscheint sie 1529 wie Luther im Brustbild: die formale Angleichung, die Begegnung auf Augenhöhe und damit betonte Stellung Katharinas standen hier im Zentrum. Auch in ihrer äußeren Erscheinung sind beide einander angeglichen, so ist etwa Katharinas Gesicht voller wiedergegeben als in frühen Darstellungen und ähnelt Luthers Gesichtstypus stärker. Suchte in den frühen Bildnissen meist Katharina von Bora den Augenkontakt zu den Betrachtern, so ist es im Bremer Bild Luther, der uns direkt anblickt, während Katharina ihm zugewandt ist.
Cranach war schon zu Lebzeiten ein gefeierter Porträtist. So würdigte ihn der Humanist Christoph Scheurl 1508: „Menschen zu malen, und sie so zu malen, dass sie von allen erkannt werden und zu leben scheinen.“ Die Wiedererkennbarkeit strebte Cranach an, indem er zunehmend das Typische Luthers und von Boras betonte. Das Individuelle ihrer Erscheinung, das die frühen Bildnisse prägte, als Katharina von Boras Zeit im Haushalt Cranachs noch nicht lange zurücklag, tritt zunehmend zurück. In den Ehepaarbildnissen verband er es mit einem propagandistischen Zweck: das Ideal einer Ehe im neuen reformatorischen Geist zu schildern.
Luther war seit den „Thesen“ von 1517, seinen Schriften zur christlichen Lehre und Reformvorschlägen eine Person von öffentlichem Interesse und das Bedürfnis, sich „ein Bild“ des Reformators zu machen, war groß. Das galt genauso für Katharina von Bora, die ehemalige Nonne und Ehefrau. Cranachs Porträts schlossen somit eine – heute kaum noch vorstellbare – mediale Lücke.
Aus dem Jahr 1530 stammt bereits ein Kupferstich des Ehepaarbildnisses, der dem Bremer Bild nahesteht, und sich schnell verbreitete. Die weiteren Porträts Luthers und Katharina von Boras sind heute in aller Welt zu finden: von New York (The Morgan Library and Museum) bis Florenz (Uffizien), von Stockholm (Nationalmuseum) bis Basel (Kunstmuseum), von Berlin (Staatliche Museen, Gemäldegalerie) bis Darmstadt (Landesmuseum). Ludwig Roselius erwarb die beiden Bildnisse 1928 als Glanzstücke für sein im gleichen Jahr eröffnetes Museum in der Bremer Böttcherstraße, wo sie bis heute einen Anziehungspunkt bilden.
Mehr zu den anderen Bildnissen Katharina von Boras von Lucas Cranach: https://lucascranach.org/DE_KBSB_B60