Museen BöttcherstraßeMuseen Böttcherstraße

72 dpi PMB 1993 008 Stillleben mit Milchsatte 1905 Paula Modersohn-Becker, Stillleben mit Milchsatte, 1905, Paula Modersohn-Becker Museum, Bremen © Paula Modersohn-Becker Museum

Deine Story zur Kunst - Schreibwettbewerb - die Gewinnerinnen

Die Gewinnerinnen des Schreibwettbewerbs stehen fest und gerne möchten wir hier die ersten drei Texte der Teilnehmerinnen vorstellen:

Den ersten Preis erhielt Emma Stadtmüller mit ihrer Kurzgeschichte zum "Aufbruch der heiligen Ursula", den zweiten Preis konnte Jule Hoarau für sich entscheiden mit ihrer Slam Version zur Milchsatte und last but not least hat die Jury der Text von Maria Lüpke-Narberhaus überzeugt, die ebenfalls einen eindrücklichen Beitrag zur Milchsatte verfasst hat und damit den dritten Preis erhält.

Zur Auswahl standen folgende Kunstwerke aus den Museen Böttcherstraße: 

PMB Rilke

Paula Modersohn-Becker, Bildnis Rainer Maria Rilke, 1906,
Paula Modersohn-Becker Stiftung, Bremen

  72 dpi PMB 1993 008 Stillleben mit Milchsatte 1905

Paula Modersohn-Becker, Stillleben mit Milchsatte, 1905,
Paula Modersohn-Becker Museum, Bremen © Paula Modersohn-Becker Museum

 

Jean Bellgambe Aufbruch der Heiligen Ursula 1520 30 72dpi

Anonym, Aufbruch der Heiligen Ursula, um 1500-50, Dauerleihgabe der Erben von Jacques und Emma Rosenthal © Ludwig Roselius Museum 

EMMA STADTMÜLLER – KURZGESCHICHTE ZU „AUFBRUCH DER HEILIGEN URSULA“

Die Luft um sie herum ist schwer. Es riecht nach Salz und vom Wasser her kann man das Rauschen der Wellen und ihr Brechen an den dunklen Ungetümen von Schiffen hören, die dort anliegen. Einige rote Fahnen wehen im Wind, sie sehen fast aus wie riesige exotische Vögel, wenn man sie aus der Ferne betrachtet. Frei vor sich hin flatternd, aber doch angekettet an den Mast. Das Reden der Menschen ringsherum verläuft zu einer Masse von Geräuschen aus der man kein einziges Wort heraushören könnte, selbst wenn man es versuchen würde. Es gibt Frauen und Männer, die sich gegenseitig Dinge zuflüstern, wie traurig, denkt sie, dass manche Worte einfach verloren gehen, in der Stille und niemand jemals wissen wird, wie sie gelautet haben. Menschen, gekleidet in hübsche Gewänder aus glänzendem Stoff, der beinahe flüssig wirkt, wenn die Sonne darauf scheint. In der Ferne sitzen ein paar Kinder auf einer Mauer, wahrscheinlich gekommen, um zu sehen, wie die Schiffe den Hafen verlassen. Sicher wird bald jemand kommen und sie wegschicken, etwas Sinnvolleres zu erledigen oder nachhause zurückzukehren, bevor ihre Familien sich sorgen. Die Sonne scheint erbarmungslos von oben herab, heute ist es wärmer im Hafen als gewöhnlich. Die rote Feuerkugel schickt stetig warme Strahlen auf die Erde, die alles in ein helles Licht tauchen. Sie blickt auf das Meer, seltsam wenn man bedenkt, dass dieses endlose Blau nur eine einzige Illusion ist, so ist es doch nur das Spiegelbild des Himmels, reflektiert von kühlem Nass. Sie weiß, dass es irgendwo hinter dem Horizont anderes Land gibt, andere Menschen, die andere Worte benutzen, aber all das kann man von hier aus nicht sehen. Genauso wenig wie sie ihre eigene Zukunft sehen kann. Doch selbst wenn sie es könnte, könnte sie sie ja doch nicht beeinflussen. Und nun steht sie dort, im Hafen. Ihre Haare, erst heute Morgen zu Zöpfen geflochten, ziehen an ihrer Kopfhaut. Die Krone auf ihrem Kopf fühlt sich zu schwer an, als bestünde sie aus Stein und nicht aus Gold. Hinter ihr flattert ein Schleier im Wind, er erinnert sie ununterbrochen daran, warum sie hier ist. Ein Bündnis, dass sie für immer an jemanden ketten wird, den sie überhaupt nicht kennt. Plötzlich fühlt sie sich wie eine der Fahnen, die dort hinten wehen. Was wäre, wenn, denkt sie, sie heute nicht hierhergekommen wäre? Was wenn sie heute Morgen ihre Angst hätte siegen lassen und einfach geflüchtet wäre? Weg von all der Verantwortung und den Dingen, die ihr Leben für immer verändern werden. An einen Ort, an dem niemand ihren Namen kennt, wo sie ein freies Leben führen könnte…
Die Abfahrt rückt immer näher. Immer mehr Frauen besteigen die Schiffe, mit jedem mehr der auf dem Schiff ist, weiß sie, dass eine Person weniger vor ihr ist, mit jeder Person weniger Zeit, bis sie selbst in eins der Schiffe steigt. Um abzufahren in einen neuen Lebensabschnitt. Weg von der grauen Stadt, die einen so großen Kontrast bildet, zu den Farben des Wassers, und des Himmels, der Wolken und der Sonne. Menschengemachte Gebäude, höher als jeder Baum, jede Welle. Natürlich weiß sie, dass es auch dort, wo sie hinfährt Gebäude wie diese geben wird. Aber werden sie so hübsch und fein sein? Wann wird sie diese Stadt, diesen Hafen wiedersehen, ist es doch alles, was sie kennt. So oft hat sie das alles bereits gesehen, dass sie es sich haargenau in ihrem Kopf vorstellen kann. Ein Mann tritt auf sie zu. Er muss der Steuermann ihres Schiffes sein, das das vorrausfahren wird, schließlich trägt er die Kleidung eines Seefahrers. „Seid gegrüßt, Prinzessin Ursula. Ich denke, es ist nun an euch, dass Schiff zu betreten. Alles ist bereit für eure Abfahrt.“, sagt er zu ihr. In ihrem Kopf überschlagen sich die Gedanken. Renn, solange du noch kannst, sagen ihr ihre Gedanken immer wieder und wieder. Doch sie schiebt sie zur Seite und lächelt, so wie sie es immer tut. Und wie sie es immer tun wird. „Vielen Dank.“, antwortet sie und folgt ihm zu dem Schiff, in dem sie reisen wird. Schließlich steht sie am Bug des Schiffes und denkt an ihre Familie, von der sie sich schon früher an diesem Tag verabschiedet hat. Sie schaut auf den Hafen, der in der Ferne kleiner wird, gefüllt mit so vielen Menschen, deren Körper von hier aus eine einzige bunte Masse zu bilden scheinen. Jeder von ihnen hat seine eigene Geschichte, genauso wie sie eine hat. Sie weiß, wenn dieser Tag, der schon so lang zu Scheinen dauert, zu Ende geht, wird ein neuer folgen. Ursula spürt, wie der Wind an ihren Zöpfen zerrt und ihren Schleier herumwirbelt, als wäre es ein Spiel seinerseits. Und während sie den Wind um sich herum fühlt und die salzige Luft schmeckt, blickt sie hinunter auf das goldene Kreuz. Ihre Ehe mit Aetherius wird in Ordnung sein, da ist sie sich sicher, ging er doch auf ihre Bedingungen ein. Die Prinzessin vertraut darauf, dass sie den Weg, der ihr bestimmt ist, gehen wird. Das der, der sie hierhergebracht, leiten wird. Alles wird in Ordnung sein, sagt sie sich, dreht sich weg von dem Hafen und blickt nicht mehr zurück.

-„Kommst du dann?“, fragt meine Mutter. Ein bisschen verwirrt sehe ich sie an. „Alles gut bei dir?“, fragt sie, „Du stehst dir doch schon eine Ewigkeit vor dem Bild da die Füße platt. Ich habe mir schon langsam Sorgen gemacht, wie du da draufstarrst.“ „Ja, klar. Alles gut.“, sage ich und drehe mich von dem Gemälde weg. „ich will dir noch etwas Interessantes zeigen, komm!“, sagt meine Mutter und ich folge ihr, ohne noch einmal zurückzuschauen. Wissend, dass das Bild, wenn ich es beim nächsten Mal anschaue, genauso aussehen wird. Dass die Prinzessin dort stehen wird, wie immer kurz vor dem Aufbruch. Wie traurig ist es, denke ich, dass manche Worte einfach verloren gehen, in der Stille und niemand jemals wissen wird, wie sie gelautet haben.

 

JULE HOARAU – SLAM VERSION „MILCHSATTE“

Ey.

Da steht sie.

’ne Schale, rund, voll.

„Milchsatte“ – ey, komisches Wort, klingt wie so’n Passwort, das man nachts im Halbschlaf erfindet.

Fast wie Geheimcode aus ’ner alten Sprache.

Sie chillt auf’m Tisch,

weißer Stoff drumrum,

gefaltet wie meine zerknitterten Hefte,

wenn ich mal wieder die Mathehausaufgaben … äh … „vergess“. (Frau R., falls Sie das hören – sorry, aber echt jetzt!)

Und das Ding guckt mich an.

JA, ich weiß, es ist nur Obst oder Gemüse oder was auch immer, aber hallo?!

Es starrt zurück.

Rund wie mein Bauch nach drei Tafeln Ritter Sport, die ich in meinem Zimmer bunkere, damit meine kleiner Bruder sie nicht klaut.

Glatt wie die Stimme von meiner besten Freundin,

wenn sie lacht.

Wenn sie echt lacht.

Nicht dieses Insta-Lächeln,

sondern dieses „ich spuck gleich Limonade vor Lachen“-Lächeln.

Und ich frag mich:

Wer hat dich hingestellt?

War’s jemand, der Hunger hatte?

Oder jemand, der Langeweile oder vielleicht Besinnlichkeit gemalt hat?

 

Und warum genau DU, Milchsatte?

Warum nicht ’ne Banane,

oder dieser riesige Kürbis vom Herbstmarkt, den keiner hochheben konnte – außer Papa, der tat so, als wär’s nix…

Du bist nicht laut.

Kein Feuerwerk.

Kein TikTok-Sound, der viral geht. Eher so still.

So wie ich manchmal im Unterricht,

wenn mein Kopf woanders ist …

so weit weg, dass selbst die ISS mich nicht findet.

Aber genau das macht dich groß. Checkst du‘s?

Deine Ruhe knallt.

Lauter als jede Disco.

Und ich steh davor, Herz hüpft,

Worte stolpern,

und denk:

Ey.

Vielleicht bin ich auch ’ne Milchsatte. Unterschätzt. Still.

Rund von Gefühlen, die keiner sieht.

Doch wenn man hinschaut – wirklich hinschaut –

dann bin ich da.

Dann bist du da.

Dann sind wir beide. Und das reicht.

Wir beide, 
sind Kunst.

 

MARIA LÜPKE NARBERHAUS – 1945 DEUTSCHLAND: HOFFNUNG

Der Haferbrei kochte auf dem Herd. Sie tat 3 Löffel Zucker hinein so wie er es mochte. Die bunte Metalldose schon zerkratzt und nur noch spärlich befüllt. Jedes Zuckerkorn ein Schatz, trotzdem tut sie reichlich hinein. Aus dem Ofen duftete es nach Kuchen. Ein lieblicher Kontrast zur kalten, tristen Küche. Sie suchte das beste Geschirr ihrer Mutter aus dem Schrank. Das einzige Service ohne Sprung oder Risse. Ihre mageren Hände nahmen den aus Binsen geflochtenen und mehrfach geflickten Korb. Sie trat aus dem Haus und erschauderte sogleich. Ihre alten Glieder zitterten, während sie sich zum Hühnerstall begab. Henrietta, ihr einst prachtvolles Huhn, das sie geplant hatten als Weihnachtsbraten zu schlachten war nun nur noch Haut und Knochen. Regungslos lag sie im Dreck und hob nicht einmal den Kopf, als die Alte hereinschlurfte. Zu gackern hatte sie vor einem halben Jahr aufgehört. Der Verschlag, der mal ihr Stall gewesen war, eingestürzt. Trotzdem durchsuchte die Frau das Stroh, wie sie es schon tausend Mal gemacht hatte, bis ihre knochigen Finger auf etwas hartes stießen. Sie zog ein schneeweißes, reines Ei aus dem Haufen. Ihr faltiges Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. In der Küche kochte sie das Ei, holte den Kuchen auf dem Ofen und füllte den Haferbrei in einen der bunten Teller ihrer Mutter. Ihr Rücken knackte als sie sich bückte, um Brot aus dem Brotkorb zu nehmen. Altes, hartes Mischbrot – selbst gebacken. Sie griff schon zum Messer um, wie immer, 2 dünne Scheiben abzuschneiden, doch entschied sich das halbe Brot im Stück auf den Tisch, zu Kuchen, Brot und Ei, zu legen. Essen ist fertig! Sie betrachtete es lange. Auf dem Tisch lag die schlichte Decke, die sie von der Großmutter bekommen hatte. Sie war weiß, doch abgenutzt. Gefaltet und bekleckert worden. Unrein. Zerfranst an den Enden und alt, doch immer noch da. Das war sie schon immer, seit die Frau denken konnte, und trotzdem so anders im Vergleich zum Weiß des Eies. Das Ei. Eigentlich hätte es schmutzig sein sollen, nach Tagen im Stroh. Henrietta legte keine Eier mehr und das schon seit einiger Zeit. Trotzdem war sie sicher es kam von ihr. Doch eigentlich war es ihr egal, denn niemand wusste was zuerst kam: Das Huhn oder das Ei. Sicher war nur, dass das eine ohne das andere nicht sein konnte. Schon eine verrückte Sache, das Leben, dachte die Alte bei sich. Gelbe Lichtpunkte stachen der Frau ins Auge. Sie waren überall rund um das warme Essen. Zart und trüb doch unbestreitbar da. Wiesenblumen. Blühen im Frühling. Nun war es April. Der Frühling kam spät dieses Jahr. Trotzdem blühten diese Blumen schon lange. Ein kleines Wunder im großen Terror. Dennoch konnte sich die Alte nicht entsinnen diese Blumen gepflückt zu haben. Sie konnte sich ja nicht Mal um den Hof kümmern. Der Sohn. Er musste sich erinnert haben, so wie sich die Frau jedes Jahr erinnerte. Jedes Jahr an diesem Tag. Bald. Bald würden sie wieder weiße Eier essen und er würde ihr gelbe Wiesenblumen schenken. Bald würde sie ihm wieder einen Kuchen backen können. So wie heute. Denn heute war sein Todestag.

 

Eine Initiative von Birk Ohnesorge, gefördert von der Wilko und Johann Ahten Stiftung, Bremen

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